Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2015 / 12
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Anlass
2.All­ge­meines
3.Beant­wor­tung der Fragen
II.Antrag der Regierung
Grüner Teil
 
Interpellationsbeantwortung der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend Gewässerschutz    
 
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An der Landtagssitzung vom 2. Oktober 2014 wurde die Interpellation "Gewässerschutz" vom 2. September 2014 an die Regierung überwiesen, in welcher sechs Fragen zum Thema Gewässerschutz gestellt werden.
Die Konzessionierung von Wasserentnahmen aus Fliessgewässern zur Bewässerung landwirtschaftlicher Kulturen bildete in der Vergangenheit aufgrund anderer prioritärer Aufgaben, der knappen personellen Ressourcen und keiner festgestellten übermässigen Beeinträchtigung der Gewässerökologie keinen Vollzugsschwerpunkt, der proaktiv bearbeitet wurde.
Die Situation hat sich mittlerweile merklich geändert. Insbesondere nehmen Trockenperioden zu und damit der Bedarf zur Bewässerung von landwirtschaftlichen Kulturen genau zu den Zeiten, in denen die Gewässer wenig Wasser führen. Die Wasserentnahme ist heute in verschiedenen Gewässern aus ökologischer Sicht kritisch zu beurteilen, weshalb die Thematik in jüngster Vergangenheit eine immer grössere Bedeutung erlangte.
Bevor eine neue Vollzugspraxis unter Beachtung der Konzessionspflicht gemäss Wasserrechtsgesetz eingeführt wird, sind eine umfassende Gesamtbetrachtung der Thematik und die Erarbeitung verschiedener fachlicher Grundlagen notwendig. Dabei sollen auch alternative Bewässerungsmöglichkeiten wie z.B. die direkte Entnahme von Bewässerungswasser aus dem Grundwasser sowie ein Wasserbezug aus der Trinkwasserversorgung und damit zusammenhängende Fragen zu den Besitzverhältnissen und möglichen Konzessionsnehmern geprüft werden. Kurzfristig behilft sich die Regierung mit einem Merkblatt, in dem die allgemeingültigen Regeln zur Wasserentnahme aus Fliessgewässern definiert sind.
Neben der Behandlung des Themas Wasserentnahmen gibt die Regierung im vorliegenden Bericht Auskunft zu Übertretungen des Gewässerschutzgesetzes, Kanalisationsanschluss der Haushalte, Abwasserreinigung der Industriebetriebe, Nitratkonzentrationen im Trinkwasser und über Mess- und Massnahmenprogramme hinsichtlich der chemischen Gewässergüte ober- und unterirdischer Gewässer.
 
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Zuständiges Ministerium
Ministerium für Infrastruktur und Umwelt sowie Sport
Betroffene Amtsstellen
Amt für Umwelt
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Vaduz, 10. Februar 2015
 
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehende Interpellationsbeantwortung zu unterbreiten.
1.Anlass
Am 2. September 2014 haben die unterzeichnenden Abgeordneten Helen Konzett Bargetze, Thomas Lageder und Wolfgang Marxer gestützt auf Art. 45 der Geschäftsordnung für den Landtag des Fürstentums Liechtenstein vom 19. Dezember 2012, LGBL. 2013 Nr. 9, eine Interpellation zum Gewässerschutz eingereicht. Die Interpellanten begründeten die Interpellation wie folgt:
Wasser ist unsere wichtigste Ressource. Sie ist für alle überlebenswichtig. Wir sind als Alpenland mit Wasserreichtum beglückt. Wir können den Hahn zuhause aufdrehen und frisches Trinkwasser sprudelt heraus. Für uns scheint diese Ressource unbegrenzt zu sein. Nichtsdestotrotz ist sie aber trotzdem eine endliche Ressource, zu der Sorge getragen werden muss.
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Gewässer sind die vom Menschen am stärksten beeinflussten und beeinträchtigten Ökosysteme: Feuchtgebiete wurden trockengelegt und entwässert, Bäche eingedolt und kanalisiert, Flüsse in ein Korsett gezwängt. ln Liechtenstein sind lediglich noch 36.7% als naturnah eingestuft, in Tallagen sogar nur noch 3.8% (Amt für Statistik 2012). Wasserlebewesen gehören daher zu den gefährdetsten Arten.
Durch unkontrollierte und unsensible Wasserentnahmen aus Oberflächengewässern zur Bewässerung von landwirtschaftlichen Kulturen entstehen immer wieder Schäden am Gewässerlebensraum. So landen Wasserlebewesen auf dem Acker oder es werden Restwassermengen nicht eingehalten. Bereits heutzutage kommen verschiedene Kulturen nicht ohne Bewässerung auf Kosten der Fliessgewässerökosysteme aus. Durch die Klimaveränderung wird die Lage noch verschärft: Vorausgesetzt die Treibhausgasemissionen sinken weltweit bis spätestens zum Jahr 2050, was derzeit bei Weitem nicht garantiert ist, ergibt sich gemäss Eidgenössischer Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) für den Alpennordhang eine Temperaturzunahme zwischen 2.2 °C und 3.9 °C. Durchschnittlich wird es im Winter 3 °C und im Sommer 3.5 °C wärmer werden. Dies hat mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Veränderung der Niederschlagsmengen zur Folge. Die Niederschläge im Winter werden nach Berechnungen um 4% steigen, während sie im Sommer um rund 10% abnehmen werden. Dies führt zu vermehrten Trockenperioden während der Wachstumsphase der Vegetation im Sommer und macht eine intensivere Bewässerung der landwirtschaftlichen Kulturen nötig.
Die aktuelle Gesetzeslage besagt nach Gewässerschutzgesetz (Kap.ll, Lit. C, Art 26, 27 & 28), dass:
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• die Entnahme von Wasser aus einem ober- oder unterirdischen Gewässer über den Gemein- oder Eigentümergebrauch hinaus einer Konzession gemäss dem Wasserrechtsgesetz bedarf.
• eine Konzession nur erteilt werden darf, wenn neben den Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes zusätzlich die Art. 27 bis 29 des Gewässerschutzgesetzes eingehalten sind.
• aus Fliessgewässern mit ständiger Wasserführung und einer mittleren Abflussmenge von weniger als 50 Litern pro Sekunde über den Gemein- und Eigentümergebrauch nach dem Wasserrechtsgesetz hinaus kein Wasser entnommen werden darf.
• die Regierung Ausnahmen für zeitlich beschränkte Wasserentnahmen zulassen kann, wenn:
a) die ökologische Funktionsfähigkeit des Gewässers dadurch nicht beeinträchtigt wird;
b) zusammen mit anderen Entnahmen einem Fliessgewässer höchstens 20 % der mittleren Abflussmenge entnommen wird;
c) und die Wasserentnahme nicht in der Niedrigabflussperiode erfolgt.
• bei Wasserentnahmen aus Fliessgewässern mit ständiger Wasserführung eine ausreichende Restwassermenge (Mindestrestwassermenge) verbleiben muss. Eine Restwassermenge gilt dann als ausreichend, wenn:
a) die vorgeschriebene Wasserqualität der Oberflächengewässer trotz der Wasserentnahme und bestehender Abwassereinleitungen eingehalten wird;
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b) Grundwasservorkommen weiterhin so gespiesen werden können, dass die davon abhängige Trinkwassergewinnung im erforderlichen Ausmass möglich ist und der Wasserhaushalt landwirtschaftlich genutzter Böden nicht wesentlich beeinträchtigt wird;
c) seltene Lebensräume und -gemeinschaften, die direkt oder indirekt von der Art und Grösse des Gewässers abhängen, erhalten bleiben oder, wenn nicht zwingende Gründe entgegenstehen, nach Möglichkeit durch gleichwertige ersetzt werden;
d) die für die freie Fischwanderung erforderliche Wassertiefe gewährleistet ist;
e) bei Fliessgewässern, die als Laichstätten oder als Aufzuchtgebiete von Fischen dienen, diese Funktionen weiterhin gewährleistet sind.
Im Mai dieses Jahres erschien der aktuelle Fisch- und Krebsatlas des Fürstentums Liechtenstein (Bohl et al. 2014). Daraus ist zu entnehmen, dass von 26 Fisch- und zwei Krebsarten heute alle als ursprünglich in Liechtenstein heimisch geltenden Fisch- und Krebsarten in einer Gefährdungsstufe zwischen potenziell und vom Aussterben bedroht eingestuft werden müssen und dadurch auf der Roten Liste stehen. Beide Krebsarten, der Edelkrebs (Astacus astacus), vorkommend im Mölibach, im unteren Spiersbach und in Gräben des Ruggeller Rietes, sowie der Dohlenkrebs (Austropotamobius pallipes), vorkommend im oberen Scheidgraba einschliesslich seiner linksseitigen Zuläufe bis zum Speckigraba, sind stark gefährdet. Von den 26 ursprünglich heimischen Fischarten kommen 14 auch in kleineren Fliessgewässern wie Rietbächen bzw. -gräben und in Giessen vor. Unter anderem sind dies die gefährdeten Arten wie Bachforelle (Salmo trutta fario), Äsche (Thymallus thymallus), Moderlieschen (Leucaspius delineatus), Rotfeder (Scardi-
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nius erythrophthalmus), Brachsen (Abramis brama), Schleie (Tinca tinca) oder Schmerle (Barbatufo barbatula).
Unsere Fischfauna ist insbesondere auch dadurch auf die kleineren Fliessgewässer angewiesen, da der Alpenrhein seine Funktion als Fischgewässer kaum mehr erfüllen kann. Aufgrund des täglichen Schwallbetriebes der Kraftwerke und der fehlenden Durchgängigkeit für Fischwanderung ist eine ausreichende Fortpflanzung der Fische im Alpenrhein praktisch unmöglich und die Fische sind auf dessen Zubringergewässer als Fortpflanzungs- und Rückzugsgebiete angewiesen. Der Alpenrhein gilt als überaus fischarm (Bohl et al. 2014).
Des Weiteren sind Amphibien aufgrund der starken Beeinträchtigung ihres Lebensraums eine sehr gefährdete Artengruppe. Diese sind auf Gewässer zur Fortpflanzung angewiesen und nehmen auch langsamfliessende Gräben als Laichgewässer in Anspruch. Folgende Arten sind hier zu nennen: Bergmolch (Mesotriton alpestris), Kammmolch (Triturus cristatus), Gelbbauchunke (Bombina variegata), Grasfrosch (Rana Temporaria), Wasserfrosch (Pelophylax lessonae) und Seefrosch (Pelophylax ridibunda) (Kühnis 2011).
Insbesondere sind auch Kleinstlebewesen (Makrozoobenthos) von Wasserentnahmen betroffen. ln den Fliessgewässern Liechtensteins kommen unter anderem einige seltene Arten vor: Vor allem bei Wasserschnecken sind zahlreiche als gefährdet eingestufte Arten vorhanden. Zu erwähnen ist hier besonders das Vorkommen des Glatten Posthörnchens (Gyraulus laevis), das auf der Schweizerischen Roten Liste als vom Aussterben bedrohte Art gilt, aber auch die als verletzlich eingestuften Arten wie etwa die Linsenförmige Tellerschnecke (Hippeutis complanatus), Flache Federkiemenschnecke (Valvota cristata) oder Riementeller­ schnecke (Bathyomphalus contortus). Weitere besondere Arten sind bei den Köcherfliegen vorhanden: z.B. die seltenen Goera pilos, Lype reducta, Hydropsyche angustipennis oder Rhyacophila glareosa. Im Allgemeinen weisen einige Fliess-
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gewässer eine beachtliche Artenvielfalt bezüglich Makrozoobenthos auf: Insbesondere die Balzner Giessen, der Auslauf des Naturschutzgebietes Schwabbrünna-Äscher, der Erlenbach und der Mölibach (Staub, R. & E. Amann 2010 sowie Staub, R. & P. Baumann 2010).
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die strukturreichen und langsamfliessenden Bäche, Giessen und Gräben mit ihren Ufer- und Randzonen heute wichtige Ersatzlebensräume für viele wassergebundene Arten sind. Ausserdem erfüllen sie eine wichtige Funktion in der Vernetzung der Biotope. Eine Wasserentnahme aus diesen kleineren Fliessgewässern ist daher sehr problematisch und ist ein zu massiver Eingriff für diese fragilen Ökosysteme. Die Auswirkungen sind noch gravierender, da die gesetzlichen Vorgaben bedenklicherweise kaum eingehalten werden.
Gemäss Umweltstatistik 2012 nehmen die Nitratkonzentrationen (NO3) im Grundwasser tendenziell zu. Die Jahresmaximalwerte haben sich bei allen sechs untersuchten Grundwasserpumpwerken erhöht. Bei einer Station wurde der Grenzwert überschritten. Nitrat gilt als Indikator: Ein erhöhter Nitratgehalt lässt auch auf eine Belastung mit anderen Schadstoffe schliessen. Nitrat gelangt vor allem durch in der Landwirtschaft verwendete Dünger in das Grundwasser und in Fliessgewässer, da die Pflanzen nicht die ganze Stoffkonzentration aufnehmen. ln Fliessgewässern wurden Grenzwertüberschreitungen an Ammonium (NH4+) in der Esche, an Nitrit (NO2-) in der Esche, im Scheid- und Speckigraba, sowie an gelöstem organischen Kohlenstoff (DOC) in der Esche, im Scheidgraba und im Spiersbach festgestellt (Amt für Statistik 2012).
Durch anthropogene Tätigkeit gelangen immer mehr Schadstoffe in die Umwelt und damit auch in unsere Gewässer und unser Trinkwasser. Viele Substanzen, die aus Pflanzenschutzmitteln, Medikamenten oder der Produktion bzw. aus Abbauprodukten von Kunststoffen stammen, sind nur in kleinen Mengen nachweisbar
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(Mikroverunreinigungen). Sie können aber zur chronischen Belastung der Umwelt und zu gesundheitlichen Schäden des Menschen führen. Insbesondere hormon-aktive Substanzen wirken sich schon in geringsten Mengen auf den Stoffwechsel von Lebewesen aus und können zu bleibenden Schäden wie Unfruchtbarkeit oder Krebs führen. Pestizide stellen mit Abstand die stärkste Belastung für die Gewässer dar, allerdings treten auch Organozinnverbindungen, bromierte Flammschutzmittel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die aus Verbrennungsprozessen resultieren, europaweit in bedenklichen Konzentrationen auf (EAWAG 2014}.
Aufgrund dieser Begründung stellen die Interpellanten sechs Fragen zum Gewässerschutz in Liechtenstein, die nachfolgend beantwortet werden.
Stichwörter
Bewäs­se­rung land­wir­schaft­li­cher Kul­turen, Interpellationsbeanwortung
Gewäs­ser­schutz, Interpellationsbeantwortung
Inter­pel­la­ti­ons­be­ant­wor­tung i.S. Gewässerschutz
Was­se­rent­nahme aus Fliess­ge­wäs­sern, Interpellationsbeantwortung