Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2001 / 85
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Erläu­te­rungen zur Gesetzesvorlage
3.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit
4.Finan­zi­elle und per­so­nelle Auswirkungen
II.Antrag der Regierung
III.Geset­zes­vor­lage
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend  die Schaffung eines Gesetzes über befristete  Sofortmassnahmen im Gesundheitswesen
 
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Liechtenstein weist einen sehr liberalen und attraktiven Gesundheitsmarkt auf. Die Gesundheitsversorgung ist auf einem hohen Stand. Dies spiegelt sich auch in den Kosten des Gesundheitswesens wider. Die direkten Arztkosten sind von 1996 bis 2000 um über 30 % gestiegen. Dieser Kostenanstieg muss vorwiegend damit in Verbindung gebracht werden, dass von 1996 bis 2001 die Anzahl der in Liechtenstein konzessionierten Ärzte um rund 70 % auf 56 Ärzte gestiegen ist. Die Ärztedichte ist im Vergleich mit benachbarten Staaten sehr hoch. In diesem Jahr mussten von der Sanitätskommission bereits 14 Zusicherungen bzw. Konzessionen an neue Ärzte erteilt werden, da die fachspezifischen Voraussetzungen gemäss Sanitätsgesetz erfüllt waren. Rund 15 Konzessionsgesuche sind derzeit noch hängig, wobei täglich neue Gesuche bei der Sanitätskommission eintreffen. Würde die Sanitätskommission diese Konzessionen erteilen, so hätte Liechtenstein innerhalb eines Jahres eine Zunahme der Anzahl tätiger Ärzte um über 50 % (!!)zu verzeichnen. Dies wäre mit enormen und unerträglichen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen verbunden.
Aufgrund der geltenden Rechtslage hat die Sanitätskommission keine Möglichkeit, die Konzessionsgesuche abzulehnen, wenn die fachspezifischen Voraussetzungen gemäss Sanitätsgesetz erfüllt werden. Es müssen daher Massnahmen geprüft werden, um entsprechende Möglichkeiten zu schaffen. Hierfür sind jedoch umfassende Gesetzesreformen notwendig, welche den für die vorliegende Problemlösung notwendigen Zeithorizont übersteigen würden. Es sind daher Sofortmassnahmen (befristeter Zulassungsstopp) erforderlich.
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Zuständiges Ressort
Ressort Gesundheit
Ressort Soziales
Betroffene Stellen
Amt für Volkswirtschaft
Sozial- und Präventivmedizinische Dienststelle
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Vaduz, 20. November 2001
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Schaffung eines Gesetzes über Sofortmassnahmen im Gesundheitswesen zu unterbreiten.
1.1Problemstellung
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession zur Ausübung des Arztberufes in Liechtenstein sind im Gesetz vom 18. Dezember 1985 über das Gesundheitswesen (Sanitätsgesetz), in der geltenden Fassung, geregelt. Die Verordnung vom 8. November 1988 über die medizinischen Berufe regelt den für die medizinischen Berufe (Ärzte, Zahnärzte, Apotheker) zugelassenen Tätigkeitsbereich, die Anforderungen und Pflichten sowie die Dauer und den Inhalt der Weiterbildung insbesondere der Ärzte für Allgemeinmedizin und der Fachärzte zwischen Diplomabschluss und Praxiseröffnung.
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Auf den 1. Januar 1997 wurde die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung und die Möglichkeit der geschäftlichen Niederlassung im Lande für EWR-Bürger mit Wohnsitz ausserhalb Liechtensteins geschaffen.
Jeder Staatsangehörige Liechtensteins oder eines EU-/EWR-Staates, der in einem EU-/EWR-Staat oder in der Schweiz ein Medizinstudium und die Ausbildung zu einer Fachspezialität abgeschlossen hat, kann in Liechtenstein eine Konzession erhalten, sofern nicht bestimmte Gründe (z.B. schlechter Leumund, ungenügende gesundheitliche Voraussetzungen zur Berufsausübung) dem entgegenstehen und die Voraussetzungen gemäss Sanitätsgesetz bzw. den einschlägigen EWR-Richtlinien erfüllt sind.
Mit dem Erhalt der Konzessionsurkunde kann über die obligatorische Krankenpflegeversicherung abgerechnet werden. Gleichzeitig kann bei der Sanitätskommission um Bewilligung zur Führung einer Praxisapotheke angesucht werden, die derzeit ohne weitere Auflagen oder Bedingungen erteilt wird. Mit der Erteilung der Konzession ist jedoch nicht automatisch die Aufnahme in das Gesundheits-Netz Liechtenstein (GNL), d.h. in das Hausarztsystem, verbunden. Hierzu bedarf es der Bewilligung durch die Zulassungskommission, welche aufgrund einer Bedarfsplanung entscheidet.
Im Jahre 1996 wurde das Verbot der Führung von Zweitpraxen, die so genannte "Single Practice Rule", eingeführt. Gemäss Art. 9 Abs. 1 der Verordnung über die medizinischen Berufe darf daher ein Arzt nicht mehr als eine Einzel- oder Gemeinschaftspraxis führen (Single Practice Rule - SPR).
Die Verwaltungs- und Beschwerdeinstanz (VBI) hat in drei Beschwerdefällen wegen der Anwendung des Art. 9 Abs. 1 der Verordnung über die medizinischen Berufe den EFTA-Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren um Stellungnahme betreffend die EWR-Konformität dieser Bestimmung angerufen. In seinem
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Gutachten vom 14. Juni 2001 qualifizierte der EFTA-Gerichtshof das Verbot der Führung von Zweitpraxen als versteckte Diskriminierung und erklärte dieses als mit dem EWR-Abkommen nicht vereinbar.
Liechtenstein hat argumentiert, dass das Verbot von Zweitpraxen zur Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts des Gesundheitssystems und zur Sicherung der hohen Qualität der Gesundheitsversorgung notwendig ist. Seitens Liechtensteins wurde insbesondere auf die geographische, demographische und soziologische Lage Liechtensteins und die damit zusammenhängenden Probleme hingewiesen. Liechtenstein brachte vor, dass das Verbot von Zweitpraxen nicht diskriminierend angewendet wird, da auch bereits in Liechtenstein niedergelassene Ärzte keine Zweitpraxis eröffnen dürfen. Der EFTA-Gerichtshof gab Liechtenstein in diesem Punkt Recht, qualifizierte aber das Verbot von Zweitpraxen als versteckt diskriminierend. Der EFTA-Gerichtshof hielt explizit fest, dass das Verbot von Zweitpraxen keine negativen Auswirkungen auf die Niederlassung von Ärzten habe, die zuvor noch keine Praxis geführt haben. Allerdings könnten aufgrund von Art. 9 Abs. 1 der Verordnung die genannten Ärzte, welche bereits im EWR-Ausland eine Praxis haben, nicht von der Niederlassungsfreiheit gemäss EWR-Abkommen profitieren, was zu einer unzulässigen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit führe.
Gemäss den Verpflichtungen Liechtensteins aufgrund des EWR-Abkommens ist Liechtenstein angehalten, seine nationalen Regelungen EWR-konform anzupassen. Das Verbot von Zweitpraxen in der Verordnung über die medizinischen Berufe ist somit nach den entsprechenden Gutachten des EFTA-Gerichtshofs nicht mehr haltbar und muss aufgehoben werden.
Liechtenstein weist einen hohen Standard der ärztlichen Versorgung auf. Dies wurde auch durch die im Rahmen des Hausarztsystems erstellte Bedarfsplanung
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bestätigt. Derzeit sind im Inland 56 konzessionierte Ärzte tätig. Dies ergibt eine Ärztedichte (Einwohner pro Arzt) von 590. Im Zeitraum von 1996 bis Mitte 2001 wurde eine Steigerung in der Anzahl Leistungserbringer (Ärzte) von 70 % (von 33 auf 56) verzeichnet. Von 1996 bis 2000 sind die direkten Arztkosten um 32 % gestiegen. Ebenso stiegen die Aufwendungen für Arzneimittel, welche hauptsächlich von den Ärzten abgegeben werden (Selbstdispensation). Diese Kostensteigerung muss eindeutig mit der Erhöhung der Anzahl Leistungserbringer in Verbindung gebracht werden (vgl. auch die Ausführungen unter Abschnitt 1.3).
Seit Mitte dieses Jahres wurde eine sehr starke Erhöhung der eingegangenen Konzessionsgesuche von Ärzten festgestellt. So wurden von der Sanitätskommission zusätzlich zu den 56 bestehenden Arztkonzessionen bereits 14 Zusicherungen erteilt und 15 (!!) Gesuche sind noch hängig. Ein Grossteil dieser hängigen Gesuche bzw. der erteilten Zusicherungen betreffen Ärzte aus dem EU-/EWR-Raum. Insbesondere seit dem Gutachten des EFTA-Gerichteshofes vom 14. Juni 2001 häufen sich die Gesuche, so gehen täglich neue Gesuche und Anfragen bei der Sanitätskommission ein.
Die Grundstruktur des liechtensteinischen Gesundheitsmarktes ist, wie aufgezeigt, sehr liberal ausgestaltet. Aufgrund der derzeitigen Rechtslage ist kein Instrument gegeben, um die Erteilung von neuen Arztkonzessionen bzw. die Abrechnung über die obligatorische Krankenpflegeversicherung einzuschränken, sofern die notwendigen fachspezifischen Voraussetzungen gemäss Sanitätsgesetz erfüllt werden. Das bisherige Verbot von Zweitpraxen, welches doch einige Ärzte daran hinderte, ein Konzessionsgesuch für eine Tätigkeit in Liechtenstein einzureichen, muss, wie bereits ausgeführt, aufgehoben werden. Würde die Sanitätskommission allein die derzeit anhängigen Konzessionen erteilen, wäre dies für das liechtensteinische Gesundheitswesen und insbesondere für das finanzielle Gleichgewicht
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des Gesundheitswesens äusserst schädlich, da nachgewiesenermassen eine höhere Anzahl Ärzte mit entsprechend höheren Gesundheitskosten verbunden ist.
Es ist daher unabdingbar, dass das bestehende System überdacht und Möglichkeiten zur Einschränkung geprüft werden. Dies wird jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen. Es müssen daher Sofortmassnahmen getroffen werden, um eine derartige Steigerung der Anzahl im Inland tätiger Ärzte, wie sie sich derzeit aufgrund der vorliegenden Gesuche darstellt, zu vermeiden.
Stichwörter
Gesund­heits­wesen, befris­tete Sofortmassnahmen
Sofort­mass­nahmen im Gesundheitswesen