Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2013 / 95
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Anlass / Not­wen­dig­keit der Vor­lage / Begrün­dung der Vorlage
3.Schwer­punkte der Vorlage
4.Ver­nehm­las­sung
5.Erläu­te­rungen zu den ein­zelnen Bes­tim­mungen unter Berück­sich­ti­gung der Vernehmlassung
6.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit / Rechtliches
7.Per­so­nelle, finan­zi­elle, orga­ni­sa­to­ri­sche und räum­liche Auswirkungen
II.Antrag der Regierung
III.Regie­rungs­vor­lage
1.Gesetz über die Abän­de­rung des Polizeigesetzes
2.Gesetz über die Abän­de­rung des Strafgesetzbuches
 
2.Anlass / Notwendigkeit der Vorlage / Begründung der Vorlage
Liechtenstein ist seit 1. Januar 2010 Mitglied der Staatengruppe gegen Korruption (GRECO). Im Rahmen der 2010 bis 2011 durchgeführten Gemeinsamen Ersten und Zweiten Evaluationsrunde wurde Liechtenstein empfohlen, den Zeugenschutz zu verbessern und ein eigentliches Zeugenschutzprogramm vorzusehen. Es handelt sich dabei um eine Standardempfehlung von GRECO. Mit der Regierungsvorlage soll diese Empfehlung umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang ist ferner auf das Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption hinzuweisen, das Liechtenstein am 17. November 2009 unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert hat. In seinem Art. 22 verpflichten sich die Vertragsparteien, Massnahmen zu einem angemessenen und wirksamen Schutz von Informanten und Zeugen vorzusehen.
Gemäss Art. 32 Abs. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption, für Liechtenstein in Kraft seit 7. August 2010, verpflichtet sich Liechtenstein, in Übereinstimmung mit seiner innerstaatlichen Rechtsordnung und im Rahmen seiner Möglichkeiten geeignete Massnahmen zum Schutz von Zeugen, Sachverständigen und Opfern vorzusehen, die in Verfahren betreffend die nach dem Übereinkommen strafbaren Handlungen aussagen. Art. 32 Abs. 2 erwähnt als mögliche Massnahmen Verfahren zum physischen Schutz, wie etwa Umsiedlung oder Datensperre, einerseits und Beweisregeln, wie Einvernahme mittels Einsatz von Kommunikationstechnologien, andererseits. Letztere Möglichkeit besteht in Liechtenstein aufgrund von § 115a Abs. 2 StPO. Das Übereinkommen überlässt die Regelung der einzelnen Massnahmen den Vertragsstaaten, setzt jedoch voraus, dass diese angemessen und wirksam sein müssen. Art. 24 Abs. 1
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und 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (Palermo-Konvention), für Liechtenstein in Kraft seit 21. März 2008, enthält eine im Wesentlichen gleichlautende Regelung. Das Zusatzprotokoll zur Palermo-Konvention betreffend Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, verpflichtet die Vertragsstaaten gemäss Art. 6, die Privatsphäre und die Identität der Opfer des Menschenhandels zu schützen, namentlich in Gerichtsverfahren, sowie für die körperliche Sicherheit der Opfer des Menschenhandels zu sorgen, solange sich diese in seinem Hoheitsgebiet aufhalten. Liechtenstein ist seit dem 21. März 2008 Vertragspartei dieses Zusatzprotokolls.
Das Übereinkommen des Europarats über Massnahmen gegen den Menschenhandel wurde bisher von Liechtenstein nicht unterzeichnet oder ratifiziert. Der Beitritt zu diesem 2008 in Kraft getretenen Menschenrechtsübereinkommen ist jedoch geplant, sobald die innerstaatlichen Voraussetzungen, insbesondere eine Regelung zum ausserprozessualen Zeugenschutz, erfüllt sind. Gemäss Art. 28 des Übereinkommens hat jede Vertragspartei die erforderlichen gesetzgeberischen oder anderen Massnahmen zu treffen, um in einem Strafverfahren gegen Menschenhandel aussagenden Personen (Opfer, Zeugen und Informanten), insbesondere während und nach den Ermittlungen, einen wirksamen und angemessenen Schutz vor möglicher Vergeltung oder Einschüchterung zu gewähren. Art. 28 Abs. 2 erwähnt als mögliche Schutzmassnahmen den physischen Schutz, den Wechsel des Aufenthaltsorts, die Identitätsänderung und die Unterstützung bei der Arbeitssuche. Den Opfern im Kindesalter sollen unter ausdrücklicher Berücksichtigung des Kindeswohls besondere Schutzmassnahmen gewährt werden. Ebenfalls sollen Gruppen, Vereine oder NGO's, welche die Bekämpfung des Menschenhandels oder den Schutz der Menschenrechte zum Ziel haben, angemessenen Schutz vor möglicher Vergeltung oder Einschüchterung erhalten. Das Übereinkommen überlässt die Regelung der einzelnen Massnahmen den Vertrags
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staaten, setzt jedoch voraus, dass diese angemessen und wirksam sein müssen. Um das Übereinkommen innerstaatlich umsetzen zu können, ist deshalb der ausserprozessuale Zeugenschutz auf gesetzlicher Ebene zu regeln.
Zu erwähnen ist schliesslich auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, für Liechtenstein in Kraft seit 1. Juli 2002. Das Statut begründet eine Gerichtsbarkeit für die strafrechtliche Verfolgung der schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und (künftig) Verbrechen der Aggression (Angriffskriege). Art. 93 Abs. 1 des Statuts sieht vor, dass die Vertragsstaaten im Zusammenhang mit Ermittlungen oder Strafverfolgungen des Gerichtshofs auf dessen Ersuchen den Schutz von Opfern und Zeugen und die Sicherstellung von Beweismitteln garantieren müssen.
Die Relevanz des ausserprozessualen Zeugenschutzes in der polizeilichen Praxis war in Liechtenstein in den vergangenen Jahren sehr gering, insbesondere was umfangreichere Schutzmassnahmen, wie beispielsweise die Unterbringung an einen sicheren Ort oder permanenter Personenschutz, betrifft. In der Schweiz, die kürzlich ebenfalls besondere gesetzliche Regelungen in diesem Bereich eingeführt hat,1 wird mit durchschnittlich 10-15 Zeugenschutzfällen pro Jahr gerechnet.2 Legt man diese Zahlen auf Liechtenstein um, so ergibt sich, dass der Zeugenschutz auch in Zukunft voraussichtlich weiterhin eine sehr untergeordnete Rolle spielen wird. Jedoch kann jederzeit die Notwendigkeit eintreten, dass auch Liechtenstein plötzlich gefordert ist, zum Schutz eines Zeugen weiterreichende Massnahmen ergreifen zu können.
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Wie bereits vorstehend ausgeführt, verlangen zudem sowohl von Liechtenstein bereits eingegangene völkerrechtliche Verpflichtungen als auch der geplante Beitritt zu weiteren Abkommen (Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption; Übereinkommen des Europarats über Massnahmen gegen den Menschenhandel), dass national Massnahmen zu einem angemessenen und wirksamen Schutz von Zeugen auch ausserhalb eines Strafverfahrens getroffen werden können.



 
1Vgl. Bundesgesetz über den ausserprozessualen Zeugenschutz, AS 2012 6715.
 
2Vgl. Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens des Europarates über die Bekämpfung des Menschenhandels und zum Bundesgesetz über den ausserprozessualen Zeugenschutz, BBl 2011 1 (91).
 
3.1Ausserprozessualer Zeugenschutz
Beim ausserprozessualen Zeugenschutz handelt es sich um Gefahrenvorsorge bzw. Gefahrenabwehr, also um eine originäre Aufgabe der Landespolizei, so dass sich eine Regelung dieses Bereichs im Polizeigesetz aufdrängt. In Österreich ist der ausserprozessuale Zeugenschutz ebenfalls im Sicherheitspolizeigesetz3 als Aufgabe der Sicherheitsbehörden definiert.4 Dabei stellt das Sicherheitspolizeigesetz jedoch den Sicherheitsbehörden für diesen Bereich keine besonderen Mittel zur Verfügung. Grundsätzlich soll diese Aufgabe mit den allgemeinen Befugnissen bewerkstelligt werden, z.B. durch verstärkten Streifendienst bis hin zur umfangreichen Bewachung des Zeugen mit seiner Zustimmung. Jedoch kann der Zeuge im Interesse des Zeugenschutzes auch mit einer neuen Identität (Legende) ausgestattet werden, wenn dies zu dessen Schutz unbedingt erforderlich ist.5 Demgegenüber hat die Schweiz, insbesondere aufgrund der föderalen Struktur im Polizeibereich und um die entsprechende Kompetenz aufgrund der erwarteten -
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geringen Zahl von Anwendungsfällen zu bündeln, ein eigenes, sehr umfangreiches Bundesgesetz6 erlassen und eigentliche Zeugenschutzprogramme zentral einer eigenen Zeugenschutzstelle auf Bundesebene zugewiesen.
Aufgrund der erwarteten geringen Relevanz in der Praxis schlägt die Regierung vor, sich bei der Umsetzung des ausserprozessualen Zeugenschutzes an der einfachen und flexiblen Lösung in Österreich zu orientieren und das Polizeigesetz nur geringfügig anzupassen. Grundsätzlich soll die Landespolizei diese Aufgabe mit den ihr bereits gesetzlich zur Verfügung stehenden Befugnissen ausüben, ohne dass es dafür eines besonderen Bewilligungsverfahrens bedarf. Allerdings sollen im Bereich der Datenbearbeitung einige wenige neue Kompetenzen eingeführt werden. So soll die Landespolizei die Möglichkeit erhalten, öffentliche Stellen (z.B. Amtsstellen der Landesverwaltung, Gemeindebehörden oder Gerichte) und Private zu verpflichten, bestimmte personenbezogene Daten der zu schützenden Person in deren Registern nicht mehr auf Anfrage bekannt zu geben. Es geht hier insbesondere darum zu verhindern, dass durch Anfragen an bestimmte Stellen der aktuelle (geheime) Aufenthaltsort einer gefährdeten Person erforscht werden kann. Darüber hinaus wird im Einklang mit den internationalen Vorgaben vorgeschlagen die Möglichkeit zu schaffen, hoch gefährdete Personen mit einer neuen Identität auszustatten, wenn der Schutz anders nicht (mehr) gewährleistet werden kann. Diese Massnahme bedarf jedoch der Zustimmung des für die Landespolizei zuständigen Regierungsmitglieds.7 Ist zum Schutz einer Person ein eigentliches Zeugenschutzprogramm unter Anwendung umfangreicher Schutzmassnahmen erforderlich, so soll darüber die Regierung über Antrag der Landespolizei entscheiden.
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Aufgrund der Kleinheit des Landes soll zudem die gesetzliche Grundlage geschaffen werden, damit die Landespolizei im Rahmen des ausserprozessualen Zeugenschutzes mit ausländischen Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten kann, insbesondere im Bereich der Aus- und Weiterbildung. Daneben soll auch möglich werden, dass - über Entscheidung der Regierung - zu schützende Personen an das Ausland übergeben bzw. vom Ausland übernommen werden können, wenn dies zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen dieser Person unerlässlich ist.8



 
3Bundesgesetz über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz - SPG), BGBl. Nr. 566/1991 idgF.
 
4Vgl. § 22 Abs. 1 Ziff. 5 öSPG.
 
5Vgl. § 54a öSPG.
 
6Bundesgesetz über den ausserprozessualen Zeugenschutz, AS 2012 6715.
 
7Vgl. zur ähnlichen Regelung betr. die Legendierung von verdeckten Ermittlern Art. 34a Abs. 6 PolG.
 
8Eine entsprechende Zusammenarbeit im Bereich des Zeugen- und Opferschutzes sieht auch der Vertrag vom 4. Juni 2012 zwischen dem Fürstentum Liechtenstein, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich über die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit in dessen Art. 18 vor (vgl. Bericht und Antrag Nr. 64/2013), wobei für die Durchführung auf das jeweils nationale Recht verwiesen wird.
 
3.2Ausbau des Instituts der ausserordentlichen Strafmilderung ("kleine Kronzeugenregelung"9)
Im Zusammenhang mit dem Ausbau der Zeugenschutzregelungen soll die Gelegenheit genutzt werden, um für Mitglieder krimineller Verbindungen generell den Anreiz zu erhöhen, aus der entsprechenden Organisation auszusteigen und mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten. Die Erfahrungen im Ausland zeigen, dass eine erfolgreiche Bekämpfung von terroristischer Gewaltkriminalität, organisierter Kriminalität oder anderer vergleichbarer schwerer Kriminalität mangels Sachbeweisen häufig nur mit Hilfe von Zeugenaussagen von Personen möglich ist, die selbst Mitglied der Organisation sind. Damit diese Personen aber auch zur Aussage bereit sind, ist es - nebst dem Schutz der körperlichen Integrität im Rahmen des ausserprozessualen Zeugenschutzes - auch erforderlich, dass deren Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden im Rah-
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men ihrer eigenen Strafverfolgung honoriert werden kann. Aus diesem Grund soll analog dem österreichischen Recht10 (eine ähnliche Regelung findet sich auch im schweizerischen Rechtsbestand11) das Institut der ausserordentlichen Strafmilderung (vgl. § 41 StGB) ausgebaut werden. Ziel soll es sein, dass Mitgliedern krimineller Organisationen im Bereich der Strafzumessung Zugeständnisse gemacht werden können, falls sie bereit sind, in Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden ihr Wissen über die Struktur dieser Organisation und der von ihren Mitgliedern begangenen oder vorbereiteten Verbrechen zu offenbaren, und dabei über die Aufklärung eigener Straftaten hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Aufdeckung organisierter Tätergruppen und zur Aufklärung oder Verhinderung weiterer Straftaten zu liefern. In Anbetracht der spezifischen Ausgestaltung des Legalitätsprinzips in Liechtenstein kommt es jedoch nicht in Betracht, einem Beschuldigten gänzlichen Straferlass zu gewähren, wenn er einen (und sei es einen besonders wichtigen) Beitrag zur Aufdeckung schwerer Straftaten leistet. Eine gewisse Honorierung solcher "Leistungen", insbesondere als Reaktion auf einen "Ermittlungsnotstand", kann aus Sicht der Regierung auch vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips und dem Gebot der Gleichbehandlung gerechtfertigt werden und insoweit in gleicher Weise der Sicherung der faktischen Geltung von Strafnormen dienen wie das Legalitätsprinzip.



 
9Der Betroffene geht nicht vollständig straffrei aus, sondern er kann im Rahmen der Strafzumessung von bestimmten Vergünstigungen profitieren. Dem gegenüber zielt die "grosse Kronzeugenregelung" in Richtung Strafbefreiung (vgl. dazu die Erläuterung zur österreichischen Regierungsvorlage zum Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975, das Staatsanwaltschaftsgesetz und das Gerichtsorganisationsgesetz zur Stärkung der strafrechtlichen Kompetenz geändert werden (strafrechtliches Kompetenzpaket - sKp), RV 187/ME XXIV. GP).
 
10 Vgl. § 41a öStGB.
 
11Vgl. Art. 260ter chStGB.
 
Stichwörter
POLG, Abän­de­rung (aus­ser­pro­zes­sualer Zeugenschutz)
Poli­zei­ge­setz, Abän­de­rung (aus­ser­pro­zes­sualer Zeugenschutz)
StGB, Abän­de­rung (aus­ser­pro­zes­sualer Zeugenschutz)
Straf­ge­setz­buch, Abän­de­rung (aus­ser­pro­zes­sualer Zeugenschutz)